Timm Kruse - der Flussmensch

Timm Kruse - der FlussmenschFoto: Privatfoto
Timm Kruse - der Flussmensch

Timm Kruse ist als erster Mensch alleine die gesamte Donau auf einem SUP heruntergepaddelt (unser Buch-Tipp) – von Donaueschingen im Schwarzwald bis ins Schwarze Meer in Rumänien. 3000 Kilometer, durch zehn Länder, in fünfzig Tagen.

Die erste Frage ist immer: Was war auf deiner Tour am beeindruckendsten? Oder das krasseste Erlebnis. Ich erzähle dann von dem Gewitter in Ungarn, das sekündlich Blitze in die Donau abfeuerte, während ich unter einer Reihe von schiefen Bäumen Zuflucht gesucht und keine Angst hatte. Oder wie ich am Ziel, im Schwarzen Meer, eingetaucht bin und so heulen musste, dass ich Angst hatte, zu ertrinken. Oder wie mich ein deutscher Segler in dem Moment aufgegabelt hatte, als ich einfach nicht mehr konnte und die ganze Tour am Eisernen Tor beenden wollte.

Doch in Wahrheit sind diese Momente nicht das beeindruckendste. Das, was wirklich hängen geblieben ist, ist das Gefühl, zum Urmenschen geworden zu sein. Irgendwann im ehemaligen Ostblock überkam mich dieses Gefühl zum ersten Mal – also nach zwei, drei Wochen. Plötzlich wusste ich, dass ich auf dem Fluss zu Hause bin. Dass nicht ich derjenige bin, der Angst hat, sondern dass die anderen Angst vor mir haben sollten. Denn ich war keiner mehr von ihnen. Ich war nicht mehr zivilisiert, gezähmt, sozialisiert.

Ich war zum Flussmenschen geworden. Ich schiss jeden Morgen in den Fluss, wusch mich im Fluss, badete im Fluss, hüpfte abends ums Lagerfeuer und heulte mit Kojoten. Ich tanzte vor den rumänischen Karpaten auf meinem Brett, lag in der Ukraine nackt am Strand oder brüllte meine Wut über den ständigen Gegenwind in die finsteren Wälder der Wachau. Ich lebte ein Leben, das ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Und weil ich so ein Urmensch war, luden mich die Menschen am Fluss aus reiner Neugierde zu sich ein, damit ich meine Geschichte erzählte.

Foto: Su-Ly Kimmich-Hollaender

In Deutschland standen Menschen auf einer Brücke und jubelten mir zu – sie hatten mich über Facebook verfolgt. Kurz darauf spielte eine Rock-Band für mich und gab einen Gig, von dem ich tagelang heiser vom Mitgrölen war. In Österreich lud mich ein Rechtsradikaler in seine einsame Hütte am Ufer ein und teilte mit mir sein letztes Stück Fleisch. Von seinen Ansichten konnte ich ihn nicht abbringen – er meinte nur, dass ich das schon richtig machen würde mit der Paddelei und der Natur und so.

In Ungarn musste ich während zehn Tagen nicht einmal ein Restaurant oder einen Supermarkt aufsuchen, weil mich die Menschen zu sich nach Hause oder auf ihre Boote einluden und mich so reichlich mit Nahrung eindeckten, dass diese bis nach Serbien hielt. Dort teilte ich meine ungarischen Paprika-Würste mit einem Ziegenhirten, der nichts besaß als seine drei Tiere und einen Hund.

Foto: Privatfoto

In Kroatien lud mich eine Großfamilie zum Grillen ein. Es gab frisch geschlachtete Hühner und selbst angebauten Salat. Von ihnen lernte ich, wie lange Krieg in den Köpfen der Menschen weiterlebt. In Rumänien riefen mich betrunkene Männer zu sich, gaben mir billigen Rotwein zu trinken und frisch gefangenen Stör zu essen. Sie umarmten mich mit ihren fischigen Händen voller Liebe – als wäre ich einer von ihnen. Ich blieb an keinem Ort länger als einen Tag und war doch immer zu Hause. Und wenn mich Menschen heute fragen, warum ich so eine verrückte Reise gemacht habe, dann sage ich ihnen, dass ich bis heute nicht weiß, was mich dazu getrieben hat. Jetzt aber weiß ich, wofür diese Reise gut war:

Für sieben Wochen war ich ich selbst. Zum ersten Mal in meinem Leben der Mensch, der ich ohne die Einflüsse meiner Erziehung, der Gesellschaft und der westlichen Welt bin: Ein ursprünglicher Europäer. Ein Ur-Mensch.

  Buch von Timm Kruse - Ein Mann ein Board - Euro (D) 16,90 / Euro (A) 17,40   ISBN 978-3-667-11562-1Foto: Delius Klasing Verlag
Buch von Timm Kruse - Ein Mann ein Board - Euro (D) 16,90 / Euro (A) 17,40 ISBN 978-3-667-11562-1

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  Diesen Artikel bzw. die gesamte Ausgabe SUP 1/2019 können Sie in der SURF App (<a href="https://www.delius-klasing.de/digital" target="_blank" rel="noopener noreferrer nofollow">iTunes und Google Play</a> ) lesen – die Print-Ausgabe erhalten Sie <a href="https://www.delius-klasing.de/sup-special-01-2019-sup-2019-01" target="_blank" rel="noopener noreferrer nofollow">hier.</a>Foto: Stephan Gölnitz
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